Isaiah 53

Kapitel 53

Jes 52,13–53,12 ist ein extrem verdichteter, poetischer Text. Er ist geprägt von starken Sprachbildern, deren genaue Deutung häufig unklar bleibt.
Vgl. Schmidt 2013, S. 224.245
Eine zentrale Rolle im Text spielt der Getreue Gottes (ebed jhwh, oft als „Gottesknecht“ übersetzt). Das hebräische Wort Ebed kann sowohl Sklaven bezeichnen als auch hochgestellte Persönlichkeiten (etwas im Dienst eines Königs) und Propheten (Gottesdiener).
Vgl. Knechtschaft (WiBiLex) und Dienen / Diener (AT) (WiBiLex). Zur Übersetzung mit „Getreuer“ siehe Schmidt 2013, S. 115.
Trotz aller Schwierigkeiten bei der Deutung der einzelnen Verse lässt sich auf eine Gesamt-Aussage des Textes schließen. Die Schilderung des unschuldig leidenden Getreuen ist geprägt durch einen neuen Blick auf das Leiden. Erlittenes Leid wird nicht etwa als verdiente Gottesstrafe interpretiert (Tun-Ergehen-Zusammenhang ), sondern als Rettung gedeutet. Von dem Getreuen Gottes wird erzählt, welches Leid er in der Vergangenheit erfahren hat: Verachtung, Einsamkeit, Schmerz, Krankheit (53,3) und Tod (53,9). Dieses Leid wurde von anderen („wir“) als Gottes Strafe missverstanden (53,4). In Wirklichkeit aber ist er unschuldig gewesen (53,9). Das Leiden des Getreuen ist zwar eine „Schuldtilgung“ (53,10), aber nicht für seine eigene Schuld, sondern für „unserer aller Sünden“ (53,6). Gottes Getreuer stellt die Gerechtigkeit wieder her und bewirkt Rettung und „Heilung für uns“ (53,5). Gott selbst initiiert diesen „Rollentausch“: „Gott also ist derjenige, der den Vertretenen in dieser Weise aus einer Situation heraushilft, aus der sie mit eigener Kraft nicht herausfinden.“ Für die Zukunft wird dem Getreuen großer Erfolg (52,13) angekündigt, konkret z.B. ein langes Leben (53,10), Weisheit (53,11) und Reichtum „unter den Vielen“ (53,12). Der einsame Getreue Gottes, von den übrigen Menschen verachtet – das war die Vergangenheit. Die Zukunft dagegen besteht aus sichtbarem Erfolg und Einsicht bei „vielen Völkern“ (52,15). Jesaja 54,17 erweitert die Zusage des Wohlergehens auf eine Gruppe mehrerer Getreuer Gottes (Plural). Jesaja 55,4–7 schließlich erzählt davon, wie sich ganze „Völker“ zu Gott rufen lassen.
Vgl. Schmidt 2013, 270 und 357.
Die inhaltliche Anfrage, wie ein Verstorbener (V. 9.12) dennoch in Zukunft ein langes Leben haben kann, wird durch diesen poetischen Text nicht erklärt. Es gibt zahlreiche Thesen zur Person dieses Dieners/Getreuen. Im Neuen Testament werden Jes 52,13–53,12 auf Jesus Christus bezogen. Andere Deutungen sind: das jüdische Volk; die kleine Gruppe der Frommen inmitten der Unfrommen; ein uns unbekannter, konkreter, einzelner Mensch; der Messias; Jeremia; Mose.
Vgl. Berlin/Brettler 2005, S. 891
Für die Interpretation des Textes ist die Festlegung auf eine bestimmte Identität aber nicht notwendig.
Vgl. Schmidt 2013, S. 119–120.
An vielen Stellen ist der Text grammatikalisch mehrdeutig. Hinzu kommen Fälle von Textverderbnis und von Wörtern mit unbekannter Bedeutung. Diese Deutungs- und Übersetzungsschwierigkeiten verbinden sich mit der großen poetischen Sprachkraft zu einem sperrigen, aber spannenden Text. 1
[Status: Zuverlässig]
„Wer hat geglaubt (glaubt, hätte geglaubt, hat vertraut auf) die Kunde (das Gehörte, Offenbarte, Verkündigte)
die Kunde (das Gehörte, Offenbarte, Verkündigte) - wg. dem folgenden Sticho (»Wem ist JHWHs Macht enthüllt« -> JHWHs Tun wird gerade als verborgen vorgestellt) sind die »theologischeren« Alternativen »Offenbartes« und »Verkündigtes« eher unwahrscheinlich; vgl. Kaiser 1959, S. 95; KBL3, S. 1439.
an uns (von uns)
Die Identität des »wir« in Vers 1–6 ist unklar. Zwei mögliche Deutungen sind Identifizierungen mit dem Volk Israel oder mit benachbarten Völkern. (Vgl. Berlin/Brettler 2005, S. 891.) Siehe auch die Fußnote zu »Diener« in Jes52,13.
,
, k l
und JHWHs Macht (Arm) - {an} wem (an wem) ist (wurde) sie enthüllt (offenbar)?

2Er wuchs wie ein junger Spross vor ihm (vor seinen Augen, vor unseren Augen, trieb empor)
vor ihm - BHS vermutet einen Überlieferungsfehler und hält  לְפָנֵינוּ vor uns, vor unseren Augen für urspünglich. So z.B. auch Barré 2000, S. 25; Kaiser 1959, S. 86. Anders Allen 1971; Driver 1968b; Ehrlich 1912; Gordon 1970; North 1964, die übersetzen mit »gerade(wegs) nach oben« (»right up«): vor sich bezieht sich ihnen zufolge auf den Wachsenden selbst, vor sich selbst hinaufziehen soll dann meinen: »emporschießen, emporwachsen«. Diese Deutung ist plausibel; da aber die wörtliche Übersetzung mit »vor ihm« immer noch weitaus mehr Anhänger hat, haben auch wir diese Lösung gewählt.
,
wie ein Schössling (eine Wurzel)
»Schössling« nach Baltzer 1999; Blenkinsopp 2002; Edel 1964; Niccacci 2005; vgl. auch ZLH, S. 882 ad loc..
aus trockenem (dürrem) Land (Boden). o
Er hatte ([Drum] hatte er; [Denn] er hatte) keine Gestalt und keine Schönheit (keinen Schmuck),
keine Gestalt und keine Schönheit - Hendiadyoin. Das Hendiadyoin (=Ausdruck eines Konzeptes durch zwei durch »und« verbundene Wörter) ist im (adjektiv-armen) Hebräisch sehr viel häufiger als im Deutschen und fungiert oft ähnlich der deutschen Konstruktion [Adjektiv-Substantiv] oder dem deutsche Wortbildungsmodell »Komposition« (=Wortzusammensetzung, z.B. »Gast« + »Arbeiter« = »Gastarbeiter)«; sinngemäß daher statt »Gestalt und Schönheit«: »schöne Gestalt«.
dass wir ihn [gerne] angesehen (genossen) hätten (ansehen hätten können),
und kein Aussehen, dass er uns gefallen hätte (hätte können):

3[Er ist (war)] verachtet (ein Verachteter) und von dem Menschen (Männern) verlassen (fernbleibend/missachtet, ein von den Menschen Verlassener/Fernbleibender/Missachteter),
ein Mensch (Mann) von Schmerzen (Leiden) und mit der Krankheit (dem Übel, dem Leiden) Vertrauter(von Krankheit Gedemütigter, mit Krankheit Gestrafter),
In der wissenschaftlichen Literatur werden verschiedene sprachliche Deutungen des hebräischen Textes diskutiert (vgl. CDCH 147). Neben der von uns gewählten Übersetzung werden auch  ידע II (demütigen) und  ידע IV (strafen) vorgeschlagen. Beides ist aber nicht allgemein anerkannt.

wie jemand, vor dem man das Gesicht verhüllt.
W. Und [er war] wie ein Verbergen der Gesichter (des Gesichts) vor ihm (uns). Wer Subjekt des Gesicht-Verbergens ist und ob er sein Gesicht vor »ihm«=dem Gottesknecht oder dem nicht identifizierten »uns« verbirgt, ist im heb. Text nicht ausgedrückt. Möglich wären die Deutungen: (a) Impersonal: Man verbirgt sein Gesicht vor ihm; (b) Wir verbergen unsere Gesichter vor ihm; (c) Gott verbirgt sein Gesicht vor ihm; (d) Er verbirg sein Gesicht vor uns. Rein sprachlich betrachtet am naheliegendsten - da dann das Fehlen eines expliziten Subjekts keiner ad-hoc-Erklärung bedarf - ist (a). Dass aber die Rede vom »Verbergen des Gesichtes« in der Bibel ein häufiges Idiom für den »Gnaden-Entzug JHWHs« ist (JHWH verbirgt sein Gesicht vor X = JHWH schaut X nicht mehr gnädig an; vgl. Friedman 1977, bes. 146f; s. auch FN u zu Ps 30,8), spricht für (c). Der Gottesknecht ist die »konzentrierte Gesichtsverbergung«; er wirkt wie der Inbegriff dessen, was das Gesichts-verbergen JHWHs mit sich bringt - nämlich Schmerzen, Krankheit, Missachtung und Geringschätzung. Die meisten Übersetzungen und Kommentare übersetzen so wie wir. (Ausnahmen: JPS 1985/1999 übersetzt: »As one who hid his face from us« und Buber: »wie wenn das Antlitz sich vor uns verbergen muß«.) Möglicherweise liegt hier eine Anspielung auf Aussatz vor. (Vgl. Berlin/Brettler 2005, S. 891; Lev 13,45ff.)

Er war [ist] ein Verachteter
Textkritik: eine Handschrift: »und wir haben ihn ausgeplündert«
. Wir haben ihn nicht geschätzt (geachtet).

4Es ist wahr (sicherlich, jedoch, dennoch): Unsere Krankheiten – er hat sie getragen (unter unseren Krankheiten hat er gelitten, unsere Krankheiten hat er auf sich geladen);
unsere Schmerzen (Leiden) – er hat sie gestemmt (ertragen, erduldet).
In V. 4a-c finden sich einige sprachliche Auffälligkeiten. (1) Die Objekte unsere Krankheiten und unsere Leiden sind hier emphatisch (->Emphase) vorangestellt; (2) Sticho a steht ein redundantes Pronomen er, das so eigentlich schon in der Flexionsendung von er hat getragen enthalten wäre; streng wörtlich also: »Jedoch unsere Krankheiten: Er, er hat sie getragen«. (3) Ähnlich ist in Sticho b das unsere Leiden überflüssigerweise noch einmal enthalten in er hat sie ertragen - streng wörtlich also »unsere Leiden, sie hat er ertragen« - und (4) wird in Sticho c das wir ebenfalls durch ein redundantes Pronomen ausgedrückt; streng wörtlich also: »und wir, wir hielten ihn...«. Durch diese doppelte Hervorhebung von »unsere Krankheiten« und »unsere Leiden« und die Betonung von »er«, »sie« und »wir« wird sprachlich eine doppelte Gegensätzlichkeit markiert: (a) Die Tatsache, dass er nicht etwa seine, sondern unsere Leiden trug und (b) dass er sie selbst auf sich geladen hat, während wir dachten, er sei mit ihnen von Gott gestraft worden.Daher am sinngemäßesten etwas wie: »Dabei waren es unsere Krankheiten, die er auf sich geladen hat - unsere Leiden hat er erduldet! - während wir dachten, er sei von Gott geschlagen« (vgl. ähnlich Edel 1964, S. 128; Joachimsen 2011, S. 109-112; North 1964, S. 238f; Paul 2012, S. 404. Sehr gut die Üss. von Baltzer 1999 (»Fürwahr, unsere Krankheit hat jener getragen, / und unsere Leiden - er hat sie aufgeladen! / Wir aber haben ihn für einen gehalten...«) und North 1964 (»But ours were the sicknesses that he bore / ours the sorrows he carried; / while we supposed him stricken, / smitten by God, and afflicted.«).
,
v
''Wir'' hielten ihn für geschlagen,
für von Gott getroffen und gedemütigt (geplagt).

5''Er'' ist verwundet (durchbohrt)
Textkritik: BHS, Baltzer 1999, S. 518 u.a. punktieren mit Aq und Tg Jes um von  מְחֹלָל durchbohrt, verwundet nach  מְחֻלָּל entweiht, da  חלל II verwunden, durchbohren in der Regel die tödliche Verwundung meint, der Gottesknecht aber ja offensichtlich »lebend leidet.« MT ist beizubehalten; das Wort kann vereinzelt auch allgemein für das Verwunden stehen.
wegen (durch, in Folge) unseres Unrechts (Sünde, abtrünnigen Verhaltens),
zerstört (verletzt, zerrüttet)
»verletzt« nach Joachimsen 2011; Watts 1987; »zerrüttet« nach ZLH, S. 172.
wegen (durch, in Folge) unserer Vergehen (Schuld).
Für unser Wohlergehen (Frieden, Heil) traf ihn unsere Züchtigung,
Wörtlich: »Die Züchtigung unseres Heils (Glücks, Friedens) auf ihm«. Textkritik: Torczyner 1912 hat sinnvoll vorgeschlagen, hier nach Ps 90,8 (dazu BHS) statt  שלומנו für unser Heil zu lesen  עלומינו für unsere (verborgenen) Sünden. Der Sticho wäre dann parallel nicht zu Sticho d, sondern zu den Stichos a.b. Nötig ist das allerdings nicht, weshalb man von dieser Maßnahme besser absehen sollte.

durch seine (bei seinen) Wunden gab es Heilung für uns
Fast alle Kommentare und Übersetzungen deuten das Verben als impersonales Passiv: »es war Heilung, es gab Heilung« (gut K/D + Westermann 1966: »Durch seine Striemen ward uns Heilung«); vgl. Joachimsen 2011, S. 116f. Die meisten Übersetzungen umschreiben diesen Satz mit einer freieren Formulierung im Sinne von »durch seine Wunden wurden wir geheilt« (vgl. JPS 1985/1999); theoretisch wäre außerdem möglich: »an seinen Wunden wurde er für uns geheilt« (vgl. JPS 1917).
. aa

6Wir alle
Wir alle: »Wir« wird hier extra (unnötigerweise) gesetzt und zudem noch beschwert durch »wir alle«, um den Gegensatz zw. Sticho ab und Sticho c zu betonen: Dass JHWH unsere Sünden auf ihn treffen ließ, weil wir alle uns wie Schafe verlaufen hatten. Zusätzlich wird dies dadurch verstärkt, dass exakt das selbe Wort ( כֻּלָּֽנוּ ) - im hebräischen Text das erste des Verses - als letztes Wort des Verses noch einmal wiederholt wird: »die Sünden von uns allen«. Dorthinein spielt außerdem, dass Sticho 2 noch einmal emphatisch (->Emphase) das  אִישׁ jeder dem Satz voransteht. Wollte man das im Dt. einigermaßen nachahmen, etwa so: »Wir, allesamt, hatten uns wie Vieh verlaufen; / jeder [von uns] lief in eine andere Richtung, / und auf ihn ließ Gott treffen die Sünden von uns allen«
hatten uns verlaufen wie Schafe (Vieh), ac
jeder ging seinen eigenen Weg (in seine Richtung, in eine andere Richtung)
Ehrlich 1912 und Paul 2012 wollen diesen Ausdruck nach Jes 56,11 als einen Ausdruck für »seinen eigenen materiellen Interessen nachgehen« deuten. Der Parallelismus macht aber deutlich, dass »jeder wendete sich (ging) auf seinem Weg« hier als ein alternativer Ausdruck für das »Umherirren« zu lesen ist, daher vielleicht näher am Sinn: »jeder lief in eine andere Richtung«.
.
Doch (und darum) JHWH lässt ihn treffen (bürdet ihm auf, bekämpft ihn mit)
Vgl. Vers 12.
unserer aller Sünden (was wir alle verschuldet haben).

7Er wurde getrieben (misshandelt) und ''er'' war gedemütigt (wurde gedemütigt, ließ sich demütigen, wurde geplagt, erniedrigte sich),
und er öffnete seinen Mund nicht –
wie das Schaf (Lamm) zum Schlachten gebracht wird,
und wie ein Mutterschaf (Schaf) vor
das hebräische Wort für »vor« ( לִפְנֵי ) hat bisweilen einen drohenden Unterton (vgl. z.B. Dahood 1965, S. 133f; Sabottka 1972, S. 32) und ist daher hier höchst treffend: Auch der Scherer wird als etwas Schreckliches für die Schafe dargestellt und kann daher sinnvoll mit der Schlachtung parallelisiert werden.
seinen Scherern verstummt.
Und er öffnete seinen Mund nicht.
Textkritik: Manche Exegeten vermuten, dass der letzte Sticho nicht ursprünglich ist, sondern als Schreibfehler (Dittographie) zu streichen ist, so z.B. BHS (»prb«), Box/Driver, Budde, Driver, Duhm, Giesebrecht, Haller, Kaiser, Lagarde, Marti, Stark, Volz u.a. Allerdings sind Wiederholungen in Deuterojesaja nicht selten, so dass das wohl nicht nötig ist (so auch North 1964, S. 229). Ohne die Verdoppelung wäre der Text zwar etwas sprachlich glatter, was aber bei diesem insgesamt sprachlich komplexen Text eher für die Ursprünglichkeit der Wiederholung sprechen dürfte.


8Ohne [ordnungsgemäße] Verhaftung (Bedrängnis) und Verurteilung wurde er weggennommen (nach/durch Haft und Urteil wurde er fortgerafft; aus Bedrängnis und Verbrechen wurde er herausgeholt; aus dem Gefängnis und dem Gericht wurde er fortgeführt).
Die Übersetzung dieses Verses wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Vgl. Childs 2001, S. 416 und Kraus 1990, S. 150. Die folgenden Deutungen sind theoretisch möglich: 1. Er wurde fortgerafft (starb), und zwar a) ohne Haft und Urteil, b) durch Haft und Strafe, oder c) nach Haft und Urteil. 2. Er wurde fortgeführt aus dem Gefängnis und aus dem Gericht. 3. Er wurde weggenommen (befreit, erlöst) aus Bedrängnis und strafbarem Verbrechen.

Wer kümmert sich um seine Generation (wer denkt an sein Schicksal; bei seinen Zeitgenossen – wen kümmert es)
Die wörtliche Übersetzung ist inhaltlich unklar. Es werden darum zwei verschiedene Arten diskutiert, diesen Vers anders zu deuten:1. »Wer denkt an sein Schicksal«: Hierzu muss man »Schicksal« als eine sonst unbelegte weitere Bedeutung von dôr postulieren (analog zu Akk. dûru and Arab dauru), so z.B. Blenkinsopp 2002, S. 345; Driver 1968, S. 95; Ehrlich 1912, S. 192 (!); Hermisson 1996, S. 8.9; Kaiser 1959, S. 85; North 1964, S. 230; Nyberg 1942, S. 53; Paul 2012, S. 102.408; Soggin 1975; Watts 1987.2. »Bei seinen Zeitgenossen – wen kümmert es«: Hier muss man entweder eine Textverderbnis annehmen oder  אֶת als bei/neben übersetzen, was beides ebenfalls nicht unproblematisch ist.Die JPS 1985/1999 übersetzt: »Who could describe his abode?«
?
Ach (dass er, denn) abgeschnitten (weggerrissen) wurde er vom Land der Lebenden. aj
Wegen des Unrechts meines (seines)
Textkritik: Die hebräischen Handschriften unterscheiden sich an dieser Stelle. Besser in den Kontext passt »seines Volkes« (NET Bible). Das bedeutet jedoch nicht, dass sie ursprünglich sein muss, da es sich um die leichter zu erklärende Lesart handelt.
Volkes wurde er geschlagen (erschlagen, verprügelt)
Textkritik: Wörtlich Wegen des Unrechts meines Volkes [war] ihm ein Schlag; ungrammatisch. Lies mit BHS, Blenkinsopp, Box/Driver, Driver, Duhm, Elliger, Hermisson, Paul, Schenker, Westermann, Whybry, Ziegler nach Syr, VUL, 1QIsaa statt  נֶגַע ein Schlag besser  נֻגַּע er wurde geschlagen und nach LXX statt  לָֽמו ihm besser  לַמָּוֶת zu Tode, also er wurde zu Tode geprügelt oder – wenn hyperbatisch gedeutet – er wurde schrecklich verprügelt.
.

9Dann gab man
Textkritik: MT hat »er gab«; viele lesen daher statt  וַיִּתֵּן er gab  וַיֻּתַּן es wurde gegeben. Das ist unnötig, 3. Pers. sg. mask. kann im Hebräischen auch als impersonaler Singular verwendet werden: »Man gab...« (vgl. GKC §144d; Joachimsen 2011, S. 132; North 1964, S. 231; Soggin 1975, S. 348). Zum Sinn vgl. Barré 2000, S. 20: »V. 9ab meint nicht, dass der Knecht begraben worden wäre oder dass sein Grab gegraben worden wäre. Diese Bedeutung hat der Ausdruck ntn qeber nie. Es meint vielmehr, dass ein Grab (oder ein Begräbnisort) angelegt oder jemandem zugewiesen wird.«
ihm bei Frevlern
Ein nicht-standesgemäßes Begräbnis galt im Alten Israel als ein schwerer Fluch; das Begräbnis bei Frevlern stimmt also gut zusammen mit dem furchtbaren Leben des Gottesknechts; aus diesem Grund ist im hebräischen Text bei Frevlern auch emphatisch (->Emphase) vorangestellt.
sein Grab
und (doch) bei einem Reichen
Viele Kommentare nehmen an dieser Stelle eine Text-Verderbnis an und schlagen verschiedene Konjekturen vor, z.B. »[Man gab ihm] sein Grabmal bei Übeltätern.« (Ehrlich 1912; Touzard 1920; Ziegler 1958, S. 174; zu weiteren Vertretern siehe Joachimsen 2011, S. 132). Hierüber gibt es jedoch keinen wissenschaftlichen Konsens (Childs 2001, S. 417). Eine Änderung wäre an dieser Stelle zwar aus inhaltlichen Gründen erfreulich, denn »Reiche« wurden in Felsengräbern begraben, »Frevler« entweder gar nicht oder mit Erdbegräbnis, so dass man nicht gleichzeitig bei »Frevlern und Reichen« begraben werden kann. Andererseits lässt sich dies aber textkritisch nicht belegen, und gerade bei wünschenswerten Eingriffen in den Text ist besondere Vorsicht geboten.
nach seinem Tod
Wörtlich: nach seinen Toden (Pl. von »Tod«); vermutlich (bedeutungsloser, in der hebräischen Poesie typischer) N-Shift; vgl. z.B. Alexander 1865, S. 301. Alternativ zu erklären als abstrakter Plural mit Sg.-Bedeutung (North 1964, S. 231); übersetze: »nach seinem Tod«. Textkritik: Viele wollen emendieren zu von  בְּמֹתָיו nach seinem Tod zu  בָּמָתוׂ sein Grabmal (BHS; Barré 2000; Barthélemy 1986, S. 400; Blenkinsopp 2002; Driver 1968, S. 95f; Ehrlich 1912; Paul 2012; Soggin 1975, S. 348; Westermann 1966; Ziegler 1958, S. 174)
,
, aq
obwohl (weil)
Zu  על mit dem Sinn »obwohl« vgl. noch Ijob 16,17 (North 1964, S. 231); Esra 10,2 (Paul 2012, S. 409); so fast alle Üss.
er keine Gewalttat verübt hatte
und kein Betrug in seinem Mund war. as at

10Dennoch wollte JHWH seine Zerstörung, er ließ ihn leiden (krank werden).“

[Doch auch] wenn (weil, obwohl) du
Statt »du« ließe sich auch »sie« übersetzen (so z.B. Barthélemy 1986; Delitzsch 1889; Edel 1964; Gentry 2007; LEB; Niccacci 2005; North 1964); dann: »Wenn seine Seele eine Schuldtilgung einsetzt«. Die meisten Exegeten nehmen eine Textverderbnis an und ändern entweder in »ihn« oder nehmen größere Änderungen am Text vor. Beides ist jedoch unnötig, wenn man den Wechsel der Sprecher von dem »Wir« zu JHWH bereits an dieser Stelle ansetzt (so Schmidt 2014, 227 und 232). Diese Lösung hat zwar die Schwierigkeit, dass der Name JHWH in Stichto d in der dritten Person steht, aber es gibt auch andere Bibelstellen mit demselben Phänomen (233, Fußnote 50). Inhaltliche Aussage ist dann: Auch wenn dieser Tod dir als Schuldtilgung zugute kommt, so sorgt JHWH dennoch für das Wohlergehen dieses seines Getreuen – und schenkt ihm somit trotz seines Todes neue Zukunft.
sein Leben als (er sein Leben als; er sich sich selbst als; er selbst eine; seine Seele eine) Schuldtilgung (Schuldopfer) einsetzt (eingesetzt hast/hättest),
wird (würde) er Nachkommen sehen, wird (würde) er lange leben.
Und (aber) was JHWH will, gelingt durch seine Hand (durch ihn)
Analog dem Akkadischen (vgl. CAD 13, S. 192) und dem Ugaritischen (vgl. Tropper § 82.411) fungiert das Hebräische  בְּיָד oft nur als »verstärktes  בְּ « (KBL3, S. 371) zum Ausdruck der Mediation; also ein stärkeres »durch ihn«.
.

11Aus dem Elend (mehr als das Elend / die Mühe / das Leid; wegen des Elends; nach dem [Ende des] Elends) seines Lebens (seiner selbst, seiner Seele, seines innersten Elends) sieht er ([Licht])
Die meisten Exegeten ergänzen nach 1QJesab, 4QJesd und LXX das Objekt »Licht«, einige aber nicht (z.B. Childs 2001, 409; Schmidt 2013, 227; Seeligmann 2004).
,
und satt (befriedigt) werden an seiner Erkenntnis (seinem Wissen).
Der Gerechte (Rechtschaffene, im Recht), mein Getreuer,
Oder: »Er wird satt. In seiner Erkenntnis macht er gerecht, der Gerechte, mein Getreuer, für die Vielen.« Zu  עַבְדִּי (mein Getreuer/Diener/Knecht) siehe die Fußnote in Jes52,13.
macht die Vielen gerecht (erklärt die Vielen für gerecht, gibt den Vielen recht)
– und ihre Vergehen (Schuld, Schuldfolge): ''Er'' trägt sie.

12Deshalb (Ich verspreche)
V. 12a wird eingeleitet mit einer Heilszusage;  לָכֵן ist daher wohl am Besten so zu deuten, dass es diese Heilszusage nur markieren soll und nicht übersetzt werden muss (vgl. z.B. Paul 2012: »Assuredly, ...«)
teile ich ihm ([Beute]
[Beute] - double-duty-Objekt (->Brachylogie) aus Sticho b; vgl. z.B. Dillmann 1898, S. 457
) zu unter den Vielen (gemeinsam mit Starken; ich teile ihm die Vielen/Starken [als Beute] zu; ich werde ihm … zuteilen)
und mit Mächtigen (Zahlreichen) teilt er Beute (die Zahlreichen / Mächtigen teilt er als Beute; wird er … teilen),
Wir haben V. 12ab hier sehr wörtlich übersetzt (wie Schmidt 2013, 227; Childs 2001, 408). Möglich wären aber auch die folgenden Übersetzungen. (i) »Deshalb werde ich ihm die Beute gemeinsam mit den Starken zuteilen, und mit den Mächtigen wird er die Beute teilen« (so z.B. Alexander 1864; Baltzer 1999; Barré 2000; Blenkinsopp 2002; Dillmann 1898; Driver 1968; Edel 1964; Oswalt 1998; Smith 2009; Watts 1987; Westermann 1966) (ii) »Deshalb werde ich ihm Viele als Beute zuteilen, und Zahlreiche wird er als Beute teilen.« (so z.B. Ehrlich 1912; Joachimsen 2011; North 1964; Ziegler 1958) – Driver 1968, S. 102 emendiert von  יְחַלֵּק er wird teilen nach  יַחֲלּׂק er wird empfangen. Ziegler übersetzt so, ohne zu emendieren. Weil all diese Varianten gleich metaphorisch sind, ist die Entscheidung zwischen ihnen mehr oder weniger unmöglich (so auch Oswalt 1998, S. 405f). Paul 2012 bietet denn einfach beide Versionen aus dieser Fußnote in seiner Übersetzung an.

dafür, dass (weil) er sein Leben in den Tod geleert (ausgegossen) hat
»Leben ausgießen« ist ein hebräisches (auch: akkadisches) Idiom für »sterben« (vgl. Ps 141,8; Ges18, S. 1012; hier ist es zusätzlich erweitert durch »in den Tod«; sinngemäß also einfach: »Dafür, dass er den Tod auf sich genommen hat«

und zu den Untreuen (Sündern, Abtrünnigen) gezählt wurde (sich zählte, sich zählen lassen hat). bc bd
Er, er hat den Vielen ihre Verfehlung abgenommen (auf sich genommen), be bf
und für die Untreuen (Sünder, Abtrünnigen) ließ (lässt) er sich treffen (ließ/lässt er sich aufbürden; kämpft er; bittet er dringlich)
An dieser Stelle steht dasselbe Wort wie in Vers 6 ( פָּגַע ), das sowohl »angreifen« als auch »dringlich bitten« bedeuten kann. Vermutlich beschreibt es denselben Sachverhalt wie der vorangehende Sticho. Es steht in einer anderen Zeitstufe, was wohl ein (bedeutungsloser) T-Shift ist. Alternativ kann man den Vers so deuten, dass mit dem letzten Sticho ein neuer Gedanke in das Lied gebracht wird: Nicht nur hat der Gottesknecht die Sünden der Vielen auf sich genommen, sondern zusätzlich tritt er auch jetzt noch und immer (habituelles Yiqtol) für sie ein.
bh

Copyright information for GerOffBiSt